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Pkw-Rückrufe hoch wie nie – woran bei den Autobauern das Qualitätsmanagement scheitert

Jahrzehntelang galten Automobilhersteller als QM-Pioniere – allen anderen voran Toyota, der japanische Weltkonzern, dem die ersten erfolgreichen QM-Maßnahmen überhaupt bereits in den 1970er-Jahren zugeschrieben werden.

Inzwischen haben sich Produktions-Abläufe und Fahrzeugkomponenten so stark geändert, dass die QM-Erfolgs-Prozesse von einst anscheinend ins Leere laufen. Ein wichtiges Indiz dafür, wie wichtig die kontinuierliche Anpassung und aktive Weiterentwicklung von Qualitätsmanagement-Systemen sind.

Die Zahlen lesen sich erschreckend: In den vergangenen zehn Jahren gab es im US-Automobilmarkt etwa doppelt so viele Pkw-Rückrufe wie Neuwagenverkäufe. Eine Untersuchung des „Center of Automotive Management“ kommt auf eine Rückrufquote von knapp über 200 Prozent. Und auch der Trend des bisher ausgewerteten ersten Halbjahrs 2021 zeigt keine Besserung. Mit sogar 227 Prozent Rückrufquote kommt mehr als jeder zweite verkaufte Neuwagen schon wenig später in die Werkstatt des Händlers zurück, weil der Hersteller Teile wechseln, Software-Updates durchführen oder elektronische Bauteile austauschen muss. Die Studie kommt weiterhin zu dem Ergebnis, dass die japanischen Hersteller, wie Toyota, Honda und Mitsubishi, besonders häufig zurückrufen, aber auch Großhersteller, wie Mercedes-Benz und General Motors, kommen auf besorgniserregende Rückrufquoten.

QM-Systeme halten mit dem technischen Wandel und aktuellen Produktions-Prozessen kaum Schritt

Die Mängel, die zu den Rückrufen führen, verteilen sich recht gleichmäßig über alle relevanten Fahrzeugbaugruppen. Insassenschutz-Systeme, die Karosserie und Antriebsstränge und Motoren sind Tabellenführer, gefolgt von Fahrzeugelektrik, Bremsanlagen und den Fahrwerken. Erstaunlicherweise ist es seltener die Software, die überholt werden muss, ein Indiz dafür, dass Remoteupdates inzwischen bei allen Premiumherstellern gut funktionieren. In allen anderen Bereichen hingegen scheinen die jahrelang bewährten QM-Systeme auf breiter Front zu versagen. Anders lässt sich eine so durchgängige Verschlechterung der Produktqualität nicht erklären. Selbstverständlich ist der globale Wettbewerb mit dem resultierenden Kostendruck ein wesentliches Argument für die mangelnde Qualität bei Neufahrzeugen. Hinzu kommt der Marketing-Aspekt: Nie zuvor waren die Intervalle zwischen Neueinführungen von Pkw-Modellen kürzer als derzeit. Schaut man sich Hersteller wie etwa BMW oder Mercedes-Benz auf dem europäischen Markt an, so fällt es selbst ausgewiesenen Auto-Fans schwer, einen Überblick zu behalten, was Neufahrzeugvorstellungen angeht. Hinzu kommt natürlich der Druck auf die Hersteller, zusätzlich zu immer wieder neuen Verbrennern für den klassischen Markt auch Fahrzeuge mit E-Antrieb zu entwickeln und dafür große Ingenieurs-Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.

Die Hauptgründe für den Qualitätsrückgang sind bei allen Herstellern gleich

Die Studie des Center of Automotive Management identifiziert wesentliche Gründe für die qualitativen Probleme, die die Hersteller plagen. Diese treffen auf die meisten Hersteller in gleichem Maße zu und widersprechen dem ernstzunehmenden Qualitätsmanagement, für das die Automobilbranche einst stand. Die Globalisierung, der schnellere Modellwechsel aus Marketinggründen sowie der Zwang, in wirtschaftlich kürzeren Zirkeln zu denken, sind die Metaursachen, die sich direkt auf die Produktionsprozesse auswirken. Hier wichtige strategische Fehler, die sich bei den Herstellern eingeschlichen haben:

  • „Bananenentwicklung“
    Während früher die Devise galt, möglichst nur Produkte in den Verkauf zu geben, die wirklich „ausgereift“ waren und bei denen allenfalls „Kinderkrankheiten“ zu erwarten waren, verbirgt sich hinter dem Begriff „Bananenentwicklung“ die Devise, das Produkt – ganz so wie die Banane im Seecontainer – erst beim Kunden reifen zu lassen. Qualitätsmängel nach dem Erstverkaufstag werden also bewusst in Kauf genommen.
  • Schnelle statt sorgfältiger Produktentwicklung
    Der Marketing-Druck hat stark zugenommen, wer als Hersteller mithalten will, dem genügen längst nicht mehr eine Handvoll funktionierender Baureihen, die alle fünf Jahre neu konzipiert werden. Außerdem versucht jeder Hersteller, in allen Fahrzeug-Gattungen mitzuhalten.
  • Geringere Margen beim Verkauf
    Diese wirken sich direkt auf die Auswahl der Zulieferer für die Produktion aus. Vertragshändler verdienen am Autoverkauf kaum noch Geld und versuchen händeringend zu verkaufen, auch wenn kaum noch Renditen zu erwirtschaften sind. In der Produktion wird immer weniger auf selbst produzierte Komponenten gesetzt.
  • Plattform-Engineering
    Um die Produktionskosten weiter zu drücken, werden immer mehr relevante Bauteile in mehreren Fahrzeugtypen verbaut, obwohl deren spezifische Anforderungen sehr unterschiedlich sind. So werden viele dieser Komponenten eingesetzt, obwohl sie nicht exakt auf die Performance des jeweiligen Fahrzeugs abgestimmt sind.

Fazit: Die gestiegenen Rückrufquoten bei den Pkw-Herstellern sind ein deutliches Indiz dafür, wie wichtig es ist, technische Neuerungen und Änderungen von Produktionsprozessen vor der Einführung im Hinblick auf QM-Standards zu überprüfen. Denn Rückrufe kosten Hersteller nicht nur viel Geld, sondern langfristig auch treue Kunden.

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